Re-Formation

Text aus dem Flyer zur Homburger Kunstausstellung 2017 „Künstler:innen und die Reformation“.

Die Re-Formationen, die ich in den hier gezeigten Bildern vornehme, sind Zurückführungen aktueller, christlicher Glaubensinhalte in uralte Symbole menschlicher Spiritualität, die sich auch in den christlichen Traditionen noch finden lassen.

Ich möchte in diesen Bildern die Grundgesetze des Lebens, die Wandlung von Leben in Tod und Tod in Leben, wieder deutlich machen und greife dabei auf die Symbolik zurück, die bereits in der Vor- und Frühgeschichte der Menschheit verwendet wurde.

Die katholische Tradition ist aufgrund ihres höheren Alters noch deutlich näher an diesen alten zyklischen Wandlungsvorstellungen, Zeremonien und Symbolen als die eher vergeistigte Tradition der Reformation. Letztere setzt deutlich mehr auf Erkenntnis und Glauben als auf sinnlich, rituelle Erfahrung.  In die christliche Tradition wurde u.a. die Erfahrungswelt heidnischer Völker und deren Feste aufgenommen und mit neuen christlichen Inhalten gefüllt.

Die christlichen Glaubensvorstellungen selbst haben sich über Jahrtausende aus alten Ritualen heraus entwickelt, in denen Opfer für den Weiterbestand des Lebens, der Erhaltung der Seelen in der Unterwelt und der Erneuerung der Natur dienten.

Die Urerfahrung der ständigen Erneuerung der Welt und der Wandlung allen Lebens, auch des menschlichen, war Inhalt der ersten, von Menschen geschaffenen Symbole. Tod und Wiedergeburt wurden wahrscheinlich auch in frühester Zeit rituell gefeiert. Diese Rituale setzen sich besondern in bäuerlichen, sogenannten heidnischen Bräuchen und Festen bis heute fort.

Die jüdischen, christlichen und auch andere patriarchale Traditionen „reformierten“ die „heidnischen“ Erfahrungen und Urbilder beständig weiter. So wurde aus der realen Erfahrung von Tod und (Wieder-)Geburt, also der beständigen Erneuerung irdischen Lebens, im Laufe der Jahrtausende u.a. die christliche Vorstellung von „Erlösung“. Diese soll erdgebundenes Dasein zu Gunsten von ewigem Leben der individuellen Seele überwinden.

Die Idee der Wiedergeburt wurde mehr und mehr in einen geistigen Vorgang der Läuterung und Reinigung einer vom Körper geschiedenen Seele gewandelt. Die Beobachtung der zyklischen Erneuerung alles Lebens mutierte zur Vorstellung einer linearen Ewigkeit.  Die „Befreiung“ vom irdischen Dasein wird als Erlösung betrachtet. Aus kosmischen, erdhaften und unterweltlichen Wandlungskräften wurde so die duale Ewigkeit von Himmel und Hölle.

Die Unterwelt, wie auch der Uterus, ursprünglich heilige Orte der Wandlung und Erneuerung, wurden zu teuflischen Bereichen der Sünde und ewigen Buße erklärt.

Reformation Barbara Beer

Die Mutter Gottes

Die Mutter Gottes

Im Bild stelle ich den Ursprung allen Lebens aus einer Vulva dar, aus der auch alle anderen Darstellungen des weiblich schöpferischen, göttlichen Prinzips entspringen. Diese sind letztlich nur andere Bilder für die Quelle allen Seins.

 

 

Felsritzung la Ferrassie, Frankreich, Neandertaler, ca. 100.000 v.Chr.

Das Schöpfungsprinzip wird seit der Urzeit als Vulva dargestellt. Diese findet sich bereits als Felsritzung in der frühen Steinzeit in den uralten Kulthöhlen, in denen Tod und Wiedergeburt gefeiert und dargestellt wurden. Eine besondere Darstellungsart dieser weiblichen Wandlungspotenz findet sich heute noch über Kirchentüren in England, Frankreich und Spanien, wo sie als „sheela na gig“ die Gläubigen in den heiligen Raum (ihre Vulva) aufnimmt und neugeboren wieder entlässt.

 

 

 

 

Sheela na gig, 12. Jahrhundert, Kilpeck Church, Herefordshire

In diesen frühen Darstellungen ist der einstige Begriff des Heiligen Raumes, als der das Kirchenschiff bis heute verstanden wird, noch unmittelbar sichtbar. Auch Stein-Schiffe als Begräbnisformen der alten Wikinger in Dänemark symbolisieren die Vulva als Tor und heilige Schwelle zur Wandlung, wo Totes zu neuem Leben erweckt und wieder geboren wird.

Im Christentum übernimmt die Kirche als Erweckungsort und Institution diese Funktion, der hier rein geistigen Erneuerung und Erweckung. Die Wiedergeburt erfolgt in den meisten patriarchalen Religionen im Jenseits zu ewigem Leben der Seele.

Höllenvorstellungen gab es in der Urzeit offenbar nicht. Die Unterwelt und ihre Herrscherin, Hel (Frau Holle), waren lediglich der Ort, wo die Ahnenseelen verweilten, wie die Saat im Schoß der Erde. Durch die Unterweltsgöttin gewandelt, erhielten die Ahnen neues Leben im Uterus einer Frau, deren Blut ihnen zu einem neuen Körper verhalf und durch deren Vulva sie wieder geboren wurden.

Die heilige Dreifaltigkeit

Die ursprüngliche, steinzeitliche Darstellung des schöpferischen Wandlungsprinzips war eine Dreiheit. Abgeleitet von den Mondphasen, den Tages- und Jahreszeiten wurde die Göttin, als „große Mutter“, Quelle und Ursprung allen Seins, als Dreifache gedacht und dargestellt. Die Weiße verkörpert als junges Mädchen (Jungfrau) den Neubeginn, die Entstehung neuen Lebens, den Frühling, den Morgen, den Neumond, die aufgehende Sonne.

Die Rote, sexuell reife, fruchtbare Frau steht für Fülle, Fruchtbarkeit, Sommer, Mittag, Vollmond. Die alte Schwarze ist Weise, Hebamme und Klagefrau, die die Toten in die andere Welt führt. Sie hält den Lebensfaden in der Hand und bestimmt das Schicksal, auch den Tod. Schwarzmond, Nacht und die Unterwelt sind ihre Bereiche. So wurde der beständige Wandel des Lebens zum Ausdruck gebracht.

Reformation - Ausstellung mit Barbara Beer

Die Hüterinnen des Lebens, schwarz, weiß, rot

Emerentia et sa descendance, New York, The Metropolitan Museum of Art

Jahreszeitenfeste, deren Tradition und Zeitpunkt auch die christliche Kirche übernommen hat, haben ihre Quelle in dieser heiligen Dreiheit von Ursprung, Wachsen und Vergehen. Alte (Großmutter), Mutter und Tochter wurden in dieser Dreiheit verehrt. Diese findet sich in frühen Kirchentraditionen als „Anna Selbdritt“. Dieser Ausdruck bedeutet „zu dritt“ oder „Teil einer Dreiergruppe“. In der christlichen Ikonographie ist die Heilige Anna oft mit ihrer Tochter Maria und dem Jesuskind dargestellt worden. Die Darstellung und die Verehrung  von Großmutter Anna, Mutter Maria und dem Jesuskind waren im 16. Jahrhundert fester Bestandteil der Volksfrömmigkeit.

Zuweilen wurde auch Emerentia, die Mutter Annas, mit ins Bild genommen. Als „Emerentia selbviert“ bildet sich hier die uralte, weibliche Dreiheit der Göttin als Alte, Mutter und junge Frau weiter ab. Die ursprünglich weibliche Kraft der Erneuerung wird in beiden Darstellungen durch das Jesuskind  verkörpert.

Luthers Reformation hat die Frauen aktiver  in das Glaubensleben einbezogen. Die „Göttin“ aber, die als Maria der Katholiken noch Mittlerin zwischen Gott / Jesus und den Menschen war, wurde durch den direkten Zugang des Einzelnen zu Gott, den Luther postulierte, endgültig abgeschafft. So wird im Christentum aus der ursprünglich weiblichen Dreiheit, die Heilige Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und heiligem Geist.

Blut als Wandlungsmysterium

Die Göttin / Erde / Natur wurde in ständigem Wandel erlebt. Sie stirbt, steigt, wie die sich zurückziehende Natur, in die Unterwelt hinab, um sich dort auf geheimnisvolle Art zu erneuern und im Frühling / Ostern, mit der Vegetation wieder aufzuerstehen.

Reformation - Bad Homburg

Dieser Zyklus von Tod, Erneuerung und Auferstehung ist das älteste Wandlungsmysterium der Menschheit.

Grundmuster der dazugehörigen, alten Rituale haben sich bis in die Antike in sogenannten Mysterienkulten erhalten und sie finden sich auch in den christlichen Jahresfesten wieder. Die Erneuerung des Lebens aus dem Blut ist dabei ein zentrales Motiv.

Die Venus von Laussell (25.000 v.Chr.), die ein Mondhorn trägt und auf ihren Uterus weist, ist die älteste Darstellung des Menstruationszyklus, der den Wandel von Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Tod (Blutungsphase) spiegelt. Blut- und Wasseropfer für die Erde und die Ahnen sind uralte Rituale. Besonders das weibliche Blut galt als Voraussetzung dafür, dass Leben sich erneuert, dass immer wieder Leben in Tod und Tod in Leben verwandelt wird. Blut vergießen stand für beides.  Noch Aristoteles ging davon aus, dass das Kind im Uterus aus dem Blut der Mutter gebildet wird.

Im alten Glauben wurden die Ahnen, wie auch die Saat des Getreides, durch das Blut der Frauen in der Unterwelt (dem Uterus der Erde), wie im Uterus der Frauen, genährt und wieder zu neuem Leben erweckt. Blut steht für die periodische Erneuerung der Welt und des Lebens. Der Winter / Tod wurde als Abstieg der alten Göttin / der Natur / der Seelen in den Leib der Erde verstanden, aus dem sie, durch das Blut der Erde (Wasser des Lebens) erneuert, wieder auferstehen.

Im Übergang zu patriarchalen Gesellschaften wurde die Rolle der Göttin / der Vegetation, die in die Unterwelt absteigt und sich selbst erneuert, zunehmend durch Männer verkörpert, die ihr Blut / Leben für die Wiedererweckung der Ahnen und der Vegetation opferten. Die christlichen Traditionen selbst haben sich über Jahrtausende aus alten Ritualen und Glaubensvorstellungen heraus entwickelt, in denen Blut-Opfer dem Weiterbestand des Lebens dienten.

Auch die Erweckung der Natur zu neuem Leben wurde zunehmend als abhängig von diesen Menschen-/ Blut-Opfern erlebt. Das Blutopfer Jesu steht in Zusammenhang mit diesen alten Opferzeremonien. In diesen wurde der sich opfernde Mann als König ein Jahr lang hochverehrt, geheiligt, mit Tabus belegt und zunehmend wie ein Gott gefeiert, bevor er im Frühling den Opfertod erlitt, um in die Unterwelt ab zu steigen und im Frühling des nächsten Jahres oder zur Wintersonnenwende mit dem Licht, verjüngt als göttliches Kind, wieder geboren zu werden. So wurde das ursprünglich weibliche Erneuerungs- und Wandlungsblut zunehmend zur heiligen Männersache gemacht.

Noch immer findet man Darstellungen von Jesus am Kreuz in Kornfeldern. So wird diese uralte Opfertradition zur Sicherung guter Ernten bis heute symbolisch fortgesetzt. Wasser (die Taufe) und das Blut Jesu sind auch im christlichen Glauben die Mittel, ewiges Leben für die Seele zu erlangen.

Russian icon of the Mother of God of the Inexhaustible Chalice

Diese russische Ikone zeigt Jesus, dem heiligen Gral (dem Uterus / Blut Marias) entsteigend. Maria ist hier noch kenntlich als eigentliche Trägerin des Wandlungsmysteriums, nämlich der Fähigkeit, durch ihr Blut Leben hervorzubringen.

Gleichzeitig verkörpert Jesus selbst auf diesem Bild, wie auch im Abendmal, den heiligen Gral des Wandlungsblutes, der die Gläubigen am ewigen Leben teilhaftig werden lässt. Jesus wird in vielen mittelalterlichen Darstellungen als Blutbrunnen gezeigt, in dem die Sünder sich rein waschen und so ewiges Leben erhalten. So wurde sein Blut zum Symbol der Erneuerung und der Wiedererweckung zu ewigem Leben.

RE-FORMATION, Text zur Kunstausstellung Homberg 2017 © Barabara Beer